Creed – Filmkritik

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„Rocky“ ist ein guter Film.
Und es ärgert mich als Fan der Filmreihe, dass die meisten Leute meinen Kindheitshelden belächeln. Das passiert, wenn man den dritten und vierten Teil „irgendwann mal g’sehn hat“. Die Fortsetzungen haben dem Vermächtnis geschadet. „Rocky“ ist eigentlich ein Sozialdrama, ein Liebesfilm, eine Charakterstudie. Kein Boxerfilm ohne Hirn. Nicht umsonst war er 10(!) Mal nominiert und hat drei Oscars gewonnen.
Gut. Haben wir das ein für allemal geklärt. „Rocky“ ist ein guter Film! Punkt.
Rocky IV bleibt aber mein Lieblingsteil. Ja, der, in dem der große blonde Russe zu Weihnachten auf den, zwei Köpfe kleineren Stallone einprügelt. Ich liebe die unter dem 80er-Wahnsinn verborgenen Metaphern und Themen. Ich liebe die Naivität und den Enthusiasmus der Macher, die versuchten den Kalten Krieg filmisch zu verarbeiten und dabei eine Comicverfilmung ohne Vorlage produzierten. So wie David Hasselhoff behauptet mit „Looking for Freedom“ die Weltpolitik verändert zu haben, so haben manche anderen schon „Rocky IV“ für das Ende des Ostblocks mitverantwortlich gemacht. Lächerlich, aber lustig.
Nach dem völlig missglückten fünften Teil schaffte es Stallone, der bei allen Filmen das Drehbuch schrieb und vier Mal selbst Regie führte, mit „Rocky Balboa“ einen kritisch anerkannten Film zu machen und sich nach 30 Jahren von dem Charakter, dem er seine Karriere verdankt, zu verabschieden.
Aber, wie die Filme bisher bewiesen haben, ist dieser Typ einfach nicht umzubringen. Ryan Coogler, 10 Jahre nach dem ersten „Rocky“ Film geboren, hatte da eine Idee. Ein Spin-Off rund um Apollo Creeds unehelichen Sohn. Eine Schnapsidee. Und um die erforderlichen Besucherzahlen zu garantieren soll der alte Rocky nun den Trainer spielen. Aber warum?

Die ersten Kritiken aus den USA waren überraschenderweise positiv, ja sogar überschwänglich. Stallone gewinnt wenige Tage vor dem österreichischen Kinostart den Golden Globe als bester Nebendarsteller? Eine Fortsetzung ist bereits in Planung. Da wird doch kein guter Film daherkommen? Das kann gar nicht sein.

„Creed“ erscheint wie seine Hauptfigur Adonis Johnson/Creed. Im Schatten seines Vorgängers, keine Chance auf Erfolg und im ständigen Kampf um Anerkennung und Zugehörigkeit. Aber da ist ein Funkeln in seinen Augen. Ein Potential, das erkannt und genährt werden will. Der Film ist damit seine eigene Verarbeitung und gleichzeitig ein Spiegelbild für seinen Macher. Jung und unerfahren, voller Enthusiasmus und abhängig von einem Mythos. Und dieser wird perfekt dargestellt von Sylvester Stallone, der endlich nicht mehr einem vergangenen Männerbild hinterherhinkt, sondern seine erste echte Altersrolle spielt.

Ich habe so sehr gehofft John Rambo einmal im Altersheim zu sehen. Im Kampf mit seiner Vergangenheit, geschunden und traumatisiert. Ein Alltag voller Schmerzen und Banalitäten. Mit „Creed“ bekomme ich endlich diesen Traum realisiert. Zwar in einem anderen Filmuniversum, aber dafür umso realistischer. Die gezeigten Bilder wirken durchdacht und klar. Nicht verklärt und weltfremd.
Wir durften in den letzten Jahrzehnten die Heldenreise des Rocky Balboa erleben. Nun hat er die Gelegenheit seine Erfahrungen einem neuen Protagonisten mitzugeben. Aus den Helden der 70er und 80er Jahre sind Mentoren geworden. So wird Luke in Episode VIII wohl zum Obi-Wan. Rocky wird hier zum Mickey. Regisseur Ryan Coogler verwendet Szenen, Musikstücke, Sätze und Gesten der vergangenen Teile und verarbeitet diese neu. Bekannte Charaktere sind mit uns gereift und finden sich in einer neuen Welt wieder. Er schafft es die „Rocky“-Welt in die neue Zeit zu bringen. Adonis Creed übt zum Beispiel Schattenboxen vor einer Leinwand, auf die der Kampf zwischen seinem Vater und Rocky aus dem zweiten Teil projiziert wird. Schon in Teil 4 saßen Rocky und Apollo vor einer Leinwand und sahen dem Kampf per 8mm-Projektor zu. Diesmal wird der Film aber per Youtube und Beamer durch das Zimmer geworfen. Bekanntes wird neu interpretiert und der Sohn boxt als Schatten seiner selbst hinter dem Mythos seines verstorbenen Vaters. Solch perfekt inszenierte Bilder habe ich mir in dem Spin-Off nicht erwartet.
Später im Film legt Rocky seine Hand unterstützend auf die Schulter von Adonis und sie gehen in einer langen Plansequenz aus der Kabine, durch die Arena in den Ring. Der Mentor ist nun auch Freund, Vaterersatz und Trainer. Die Kamera verfolgt die beiden und man braucht keine Gesichter, keine Blicke. Die Geste erzählt die Geschichte. Am Ende des Films legt er seine Hand wieder auf die Schulter seines Protegés. Der Grund ist aber nun ein anderer. Und damit verwandelt sich auch die Aussage. Ein kleines Element, das nur wir verstehen, die der Geschichte gefolgt sind. Man findet sich in einem Rocky Film, der von einem talentierten Regisseur mit Referenzen und filmischen Juwelen gefüllt wurde.

Die meisterhafte Inszenierung macht auch bei den Boxkämpfen keine Pause. Die Schlagabtäusche wirken unmittelbar und nicht geprobt. Der erste Kampf kommt ohne Schnitt aus und man fühlt sich mit den Akteuren gemeinsam im Ring wieder. Man traut sich nicht zu blinzeln, man wird in den Faustkampf gesaugt und am Ende blutig wieder ausgespuckt. Die Choreographie der Schauspieler und der Kamera wird wohl in die Filmgeschichte eingehen.

Und Stallone? Hat er die Golden Globe Auszeichnung verdient? Ja, weil er sein Alter-Ego ohne Ego spielt. Es geht ihm um die Geschichte, nicht ums Image. Und was ich bei Rambo nie zu sehen bekommen werde, wird in „Creed“ zelebriert. Ein alter Fighter, dessen Kampf sich zuerst im Alltag und später in einem Schicksalsschlag findet. Und aus dem „Es kommt nicht darauf an, wie oft du niedergeschlagen wirst, sondern wie oft du wieder aufstehst“ wurde ein demütiges „Es geht um den nächsten Schritt, den nächsten Schlag, um die nächste Runde“. Therapieansätze für den Zuseher. Schritt für Schritt löst man seine Probleme. Niemand kann nach zehn Minuten Training zum Meister mutieren. Das ging in den 80ern. Unsere unsterblichen Helden von damals sind alt, krank, oder tot. Aber die nächste Generation hat aus den Fehlern gelernt, liebt ihre Vorbilder und begleitet sie in die Gegenwart.

Ich kann es kaum erwarten den Film nochmal zu sehen. Auch wenn mich die letzte Szene fast zerstört hat. Einem Rocky-Fan treibt sie die Tränen in die Augen und macht einen ikonografischen Hintergrund um eine Bedeutung reicher.
Die Prädikatisierungskommission gab dem Film ein „Wertvoll“. Ich gebe dem Film vier von fünf Filmrollen. Alle die Rocky nur entfernt mögen fügen eine fünfte Rolle hinzu.
Und wieder gilt. Der Film ist der Regisseur ist der Mythos. Aus dem Außenseiter wurde ein Gewinner.

„Creed“ ist ein guter Film. Punkt.

Bewertung:
4 von 5 Filmrollen