The Revenant – Filmkritik

© 2015 Twentieth Century Fox

Das Internet und seine Trolle warten auf Leonardo DiCaprios Oscargewinn. Ich warte auf den ersten schlechten Film von dem Ausnahmeschauspieler. Sein Spielfilmdebüt gab er 1991 in „Critters 3“ und seitdem schafft er es einfach nicht in einem, zumindest mittelmäßigen, Streifen aufzutreten. Nach seinem Romeo in Baz Luhrmans opulenter Shakespeare Adaption und dem Jack aus „Titanic“ wurde er als talentierter, jugendlicher Herzensbrecher abgestempelt. Unzählige „Bravo“-Cover folgten. Aber auch „The Beach“, „Catch Me If You Can“, „The Departed“ und so weiter und so weiter. All diese Filme haben einen Regiemeister am Steuer und perfekt geschriebene Drehbücher gemeinsam. Unbeirrt hat er nach Qualität gesucht und diese mit seinem Namen realisieren können. DiCaprio hat sich nicht mit seinem Ruhm geschmückt, sondern hat ihn verwendet, um interessante Projekte zu verwirklichen. Filmemacher brauchten seinen Namen, er brauchte die Filmemacher. Dieses Mal führt Alejandro González Iñárritu Regie, bekannt durch „Babel“, „Birdman“ und „Amores Perros“. Mit „The Revenant“ inszeniert er einen Film, der kaum Dialoge braucht, um seine Geschichte zu erzählen. Ein mutiges Werk im Zeitalter von Fortsetzungen und Comicverfilmungen.

Mit diesen Gedanken setz‘ ich mich in die Special Preview und warte gespannt auf den Beginn von „The Revenant“. Einer wahren Geschichte rund um Trapper Hugh Glass. Der wird in Internet-Foren und Youtube-Videos als „Biggest Badass of All Time“ bezeichnet. Warum? Weil er nicht umzubringen war. Spoiler? Nicht wirklich. „The Revenant“ bedeutet „Der Wiederkehrer“, oder „Der Wiedergänger“. Den Ausdruck kenne ich aus dem Zombiegenre und für die Mitmenschen von Hugh Glass muss er so übernatürlich gewirkt haben. DiCaprio verkörpert die Rolle mit jeder Faser seines geschundenen Körpers. Über lange Strecken hört man nur seinen rasselnden Atem und sieht seinen getriebenen Blick. Eine wortlose Charakterstudie. Eine Metapher auf uns verletzliche Menschen. Zwischen Glauben und Wissen, zwischen Empathie und Gier, nicht mehr Tier, schon gar nicht Gott. So alleine Hugh Glass durch die unwirtliche Umgebung stolpert, so verloren wären wir ohne unsere alltäglichen Annehmlichkeiten und geliebten Gadgets. Wie viel kann man einem Menschen nehmen, bevor er zum Tier wird? Wie verlassen können wir sein, ohne durchzudrehen? „The Revenant“ treibt das Thema der Isolation auf die Spitze und zeigt eindrucksvoll, dass der Mensch schon lange kein Teil der Natur mehr ist. Er bedient sich ihrer, oder wird von ihr objektiviert. Fressen oder gefressen werden. Hinzu kommen dann unsere tragisch-kindischen Fragen nach dem „Woher?“ und dem „Warum?“. In einer Szene, die stark an Tarkovskys „Stalker“ erinnert schwingt eine Kirchenglocke in einer ruinösen Kirche hin und her. Das Läuten hören wir aber nicht. Starke Bilder, die vom Betrachter interpretiert werden wollen.

Und mitten drinnen der geschundene DiCaprio, dem ich 151 Minuten dabei zusehe, wie er auf hart gefrorenem Boden ums Überleben kämpft. Und das, obwohl er sich ganzjährlich mit seinen Supermodel-Girlfriends von Jacht zu Jacht treiben lassen könnte. Tut er aber nicht. Ganz im Gegenteil. Und das ist nicht selbstverständlich. Er sucht sich extreme Charaktere und zeigt bei seinem neuesten Film, was Kompromisslosigkeit bedeutet. Wir jammern, wenn es draußen ein paar Grad unter Null hat? Leo frisst rohe Leber. Wir haben länger als dreißig Minuten auf die Pizzalieferung warten müssen? Leo prügelt sich in ewigen Plansequenzen mit Bären und Menschen und übernachtet im Leberkäs oder wochenlang unter freiem Himmel. Und was für ein Himmel! Die Natur spielt in „The Revenant“ die zweite Hauptrolle. Emmanuel Lubezki setzt diese perfekt in Szene. Atemberaubende Landschaftsaufnahmen, die teilweise sogar dokumentarische Züge annehmen. Schneeflocken landen auf der Linse, oder der Atem eines Darstellers beschlägt das Objektiv. Einmal stößt jemand sogar gegen die Kamera. Wer das akzeptiert wird zum gebannten Zeugen. Der Kameramann von „Tree of Life“ und „Birdman“ beweist erneut, dass er zu den Meistern seines Fachs gehört. Er könnte heuer den dritten Oscar in Folge gewinnen. Und das verdient. Handwerklich gehört „The Revenant“ zum Besten was man im Kino sehen kann. Unterstützt werden die Bilder durch perfekt besetzte Typen. Vollbärte und verwitterte Gesichter bewegen sich mit leeren Blicken durch die Wälder. Allen voran Tom Hardy, der erneut einen nuschelnden Unsympathler spielt. Wieder stiehlt er den meisten Mitspielern die Show. Wenn nicht Sylvester Stallone für „Creed“ gewinnt, sollte wohl er den Oscar für den besten Nebendarsteller mit nach Hause nehmen. Weitere Nominierungen für die Musik, für den Schnitt, für die Ausstattung, für das Sound Design und das Make-Up sollten außer Frage stehen.

„The Revenant“ ist ein weiteres Meisterwerk von Alejandro González Iñárritu. Wer die Bereitschaft hat, sich zweieinhalb Stunden auf perfekt eingefangene Schneelandschaften und DiCaprios Tour de Force einzulassen wird nicht kalt gelassen. Wir leiden mit, überlegen uns wie gut es uns doch eigentlich geht, hinterfragen unsere Wertigkeiten und mit dem letzten Bild des Films wird dem Zuseher ein Spiegel vorgehalten, der manche von uns als verwöhnte Raunzer entlarven wird.

Und Leo? Wird es dieses Jahr was mit der goldenen Statuette? Da haben Eddie Redmayne, Michael Caine und Michael Fassbender ein Wörtchen mitzureden. Aber keiner von denen hat so viele Opfer für seine Rolle gebracht und so viele Schmerzen ertragen wie er. Verdient hätte er den Oscar. Schon wieder. Aber wie seine Rolle Hugh Glass wird Leonardo DiCaprio weitermachen und weitermachen und weitermachen. Denn was sollte er sonst machen? Schlechte Filme?

Bewertung:
5 von 5 Filmrollen